Dienstag, 2. Dezember 2008

Melting Pot 2.0 - Das neue Amerika?

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Am 5. November 2008 wurde Barack Obama zum 44. Präsidenten der USA gewählt - als erster Afro-Amerikaner überhaupt. Vier Jahre zuvor hatte er auf dem Democratic National Comittee in Boston die Keynote gesprochen und traf bereits dort eine Aussage, die charakteristisch für sein politisches Mindset ist und die für das neue Amerika stehen könnte:

" [...] I say [...] there's not a liberal America and a conservative America; there's the United States of America. There's not a black America and white America and Latino America and Asian America; there's the United States of America."



Obamas historischem Wahlsieg ging sein beispielloser Wahlkampf mit einer prägnanten Botschaft voraus: "Change we can believe in!". Die Amerikaner haben sich für diesen Wandel entschieden - für eine andere Farbe, eine andere Generation, eine andere Weltanschauung und vermutlich für ein anderes Amerika. Barack Obama konnte die Mehrheit der Stimmen von Schwarzen, Latinos und Asiaten auf sich vereinen. Es scheint, als habe er seine Worte von 2004 in die Tat umsetzen können.

(Quelle: National Exit Poll, CNN)

Barack Obamas "Change" kann allerdings mehrdeutig interpretiert werden, denn für seinen Wahlkampf griff er zwei sich bereits in vollem Gang befindende gesellschaftliche Veränderungen auf.



Demographisch-kulturelle Veränderungen

US-Amerikaner hispanischer Herkunft, die Latinos, sind nicht nur seit einigen Jahren die stärkste Minderheit in den USA sondern auch die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe des Landes. Hauptgründe hierfür sind Immigration und kontinuierlich hohe Geburtenraten.
Latinos sind größtenteils katholisch und haben teilweise andere Wertevorstellungen als die klassischen „White Anglo-Saxon Protestants“. Familie und Gemeinschaft stehen stärker im Vordergrund als Individualismus. Egalitarismus und protestantische Arbeitsethik haben eine geringe Bedeutung. Dies lässt sich beispielsweise daran erkennen, dass Latino-Mütter auf dem Arbeitsmarkt weit weniger präsent sind Mütter aus anderen ethnischen Gruppen. Das Bedürfnis (oder die Erwartungshaltung), sich zu Hause um die Kinder zu kümmern, ist kulturell stärker ausgeprägt.
Natürlich sind die Latinos keine kulturell homogene Gruppe. So sind beispielsweise kubanischen Exilanten in Florida extrem konservativ und gelten als treue Anhänger der Republikaner wohingegen sich Puerto Ricaner und Mexikaner eher an den Demokraten orientieren, vor allem in wirtschafts- und sozialpolitischen Aspekten. Im Allgemeinen jedoch tendieren Latinos politisch nach links - nicht zuletzt wegen der rigiden Einwanderungspolitik der Republikaner. Diese Tatsache kommt Barack Obama ebenso zu Gute kam wie der Umstand, dass diese Wählergruppe eine sehr junge ist. In den Bundesstaaten wie New Mexico, Colorado, Nevada und Florida leben verhältnismäßig viele Latinos – und diese Staaten konnte Obama für sich entscheiden.
Je mehr der Bevölkerungsanteil der Latinos wächst, desto größer wird der Einfluss ihrer Normen und Werte auf die amerikanische Gesellschaft. Demographische Veränderungen in den USA führen somit auch zu kulturellen Veränderungen.

Mediale Veränderungen

Bekanntermaßen wächst die Nutzung von digitalen Medien stetig – nicht nur in den USA. Wichtig ist allerdings in diesem Zusammenhang, dass sich digitale Medien, in erster Linie das Internet, in der Verwendung von den klassischen Medien unterscheidet. Amerikas liebstes Medium, das Fernsehen, basiert auf Konsum und Kontrolle (im Sinne von Selektion), während beim Internet der Fokus auf Partizipation und Transparenz liegt. Werkzeuge wie E-Mail, Instant Messaging, Weblogs, Videoportale und soziale Netzwerke werden zum Austausch von Meinungen, Positionen und Inhalten (sog. „user generated content“) genutzt. Auf dieser Weise konnte Barack Obama viele einzelne (Interessens-) Gruppen und Minderheiten ansprechen und Ihnen eine Plattform zum Austausch geben. Er hat das Internet zu einem zentralen Pfeiler seines Wahlkampfes gemacht.

Eine neue Epoche

Die neue Epoche, die durch die Wahl Barack Obamas eingeläutet wird, kann als Melting Pot 2.0 bezeichnet werden. Sie spiegelt ebendiese zwei Veränderungen wieder, die Obama sich im Wahlkampf entscheidend zu Nutze gemacht hat. Sie sind charakteristisch für seinen Wahlkampf und seine politischen Visionen.
Das Ideal des ursprünglichen Melting Pots (wenn man so will der Melting Pot 1.0) ist ein kultureller Schmelztiegel und ein kulturhistorisch für die Entstehung der amerikanischen Gesellschaft extrem wichtiges Konzept. In der Zeit der Kolonisation Nordamerikas wurde die eigene kulturelle Identität der Emigranten nach und nach überlagert durch die neuen Strukturen, Normen und Werte der sich neu bildenden Gesellschaft in Amerika. 1776 erklärte Thomas Jefferson in der Präambel der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung „Life, Liberty and the pursuit of Happiness“ als unveräußerliche Rechte eines jeden Amerikaners. Die USA waren gegründet und die ursprünglich heterogenen Emigranten verschmolzen somit nicht nur kulturell, sondern auch administrativ miteinander. Vereint in einer neuen Nation mit dem Ideal der Gleichberechtigung.

In Verbindung mit dem Begriff „Melting Pot“ ist das Label „2.0“ als Kennzeichnung einer neuen, noch nie da gewesenen Epoche zu verstehen. Sie ist eine Anspielung auf den Begriff „Web 2.0“, der eine neue Phase des Internets symbolisiert, in dem Partizipation und Interaktion der Nutzer im Vordergrund stehen. Der Melting Pot 2.0 wiederum ist eine neue Epoche der amerikanischen Gesellschaft, in der sich die verschiedenen ethnischen Gruppen, vor allem aber die stark wachsenden Minderheiten Amerikas, gleichermaßen wiederfinden. Barack Obama ist Symbol und Vorreiter dieser neuen Epoche, weil es ihm in seinem Wahlkampf gelungen ist, diese Gruppen zu vereinen. Dies betont Obama bei seiner Siegesrede in Chicago:

"If there is anyone out there who [...] still questions the power of our democracy, tonight is your answer. [...] It's the answer spoken by young and old, rich and poor, Democrat and Republican, black, white, Hispanic, Asian, Native American, gay, straight, disabled and not disabled. Americans who sent a message to the world that we have never been just a collection of individuals or a collection of red states and blue states. We are, and will always be, the United States of America."



Mit der Wahl Barack Obamas zum Präsidenten hat das amerikanische Volk eine historische Chance genutzt. Es bliebt die spannende Frage, ob Obamas Melting Pot 2.0 nur eine Momentaufnahme oder ein nachhaltiges Konzept für die amerikanische Gesellschaft der Zukunft ist.

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